2024 02: Monatskommentar Februar

Veröffentlicht am 30.01.2024
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Liebe Freunde und Förderer unseres Radios,
die Deutung der „Zeichen der Zeit“ erlebt derzeit in unserer Kirche eine geradezu inflationäre Hochkonjunktur. Sie werden „für alles in der Gesellschaft benutzt, was die Kirche zur radikalen Veränderung stimulieren könnte – ja, sie stehen für alles, worin die Welt angeblich der nachhinkenden Kirche an Erkenntnis und Realisierung voraus sei“; für die Reform der Kirche werden sie zu einer „theologischen Erkenntnisquelle nahezu ersten Ranges … hochstilisiert“ (G. Lohfink). Beruft man sich zurecht auf sie? Im Neuen Testament ist explizit nur in Mt 16,3 von „Zeichen der Zeit“ die Rede; in Zusammenhang damit steht Lk 12,56 – dort geht es um eine „Zeit der Entscheidung“. An beiden Stellen handelt es sich zunächst um Wetterphänomene, welche die Pharisäer und Sadduzäer richtig zu deuten vermögen. Die maßgeblichen Zeichen der Zeit allerdings – gemeint sind damit die Machttaten Jesu und seine Verkündigung der Gottesherrschaft – wollen die Pharisäer nicht deuten, obwohl sie dazu durchaus in der Lage wären. Sie verweigern und verschließen sich in schuldhafter Weise. Jesus wirft ihnen vor, sie sollten sich nicht dümmer stellen als sie sind. Jede Reform oder Veränderung der Kirche muss also am Evangelium und dessen Anspruch gemessen werden. Sonst verdient sie diesen Namen nicht. Bei den meisten derzeitigen Reformvorhaben der Kirche in Deutschland stellt man aber fest, dass dieser Rückbezug entweder ganz fehlt oder nur unzureichend vorhanden ist. Papst Franziskus hat dies nun schon mehrfach bemängelt. Ferner fällt auf, dass die Auswahl dessen, was man als „Zeichen der Zeit“ wahrnimmt, selektiv und willkürlich ist. Die Evangelisation, der Lebensschutz, die Hinwendung zu den Armen und Bedürftigen sowie die Nutzung der modernen Kommunikationsmittel – um nur einige wichtige Punkte aufzuzählen – fehlen fast völlig. Gerade die Nutzung moderner Kommunikationsmittel gehört zu meinem beruflichen Alltag.



Während der Pandemie erreichten unsere Hirten die Menschen fast nur noch über die Social Media Kanäle. Diese wurden auch mit teilweise erstaunlich hohen Einschaltquoten genutzt. Anstatt weiter in diese Richtung zu gehen, wurde nach dem Ende der Pandemie nahezu alles wieder auf den ursprünglichen defizitären Ausgangszustand heruntergefahren. Man hat nicht erkannt, wie wichtig diese Kanäle heute sind, um das Evangelium zu verkünden. Man kann ferner die Zeichen der Zeit nicht richtig deuten, wenn die Unterscheidung der Geister fehlt. Der „Zeitgeist“ und der „hl. Geist der Zeit“, so der Titel eines meiner Bücher, sind unterschiedliche Wirklichkeiten. Sie nicht auseinanderzuhalten, ist fatal für die Kirche. Warnende Beispiele aus der Kirchengeschichte gibt es genügend. Ich beschränke mich auf eines: die Stellungnahme von Theologen und Bischöfen zur Kriegsbegeisterung am Anfang des Ersten Weltkrieges. Diese wurde vollkommen unkritisch von Vertretern der Kirche geteilt und das Evangelium daraufhin „aktualisiert“. Nichts, aber auch wirklich nichts blieb davon verschont. Sogar das Pfingstereignis als Mobilisierung aller Kräfte für die Mission wurde mit der Generalmobilmachung als Einsatz aller Kräfte für den Sieg der deutschen Waffen verglichen. Dieser Irrsinn hörte erst auf, als Millionen Menschen schon tot waren und man erkannte, dass man so jedes Vertrauen verspielte, weil man die Menschen in die Irre geführt hatte. Weitaus schlimmer als in der katholischen Kirche war der Missbrauch des Wortes Gottes in der evangelischen. W. Pressel hat dies in seinem Buch „Die Kriegspredigt 1914–1918 in der evangelischen Kirche Deutschlands“ belegt. Der evangelische Bischof O. Dibelius sprach im Brief vom 29.08.1962 Pressel das Recht ab, die Kriegspredigten jener Zeit zu kritisieren. Irgendwie kommt uns dieses Schema doch bekannt vor: Zuerst geschieht sehr viel Unheil, und anstatt sich dazu zu bekennen und Reue zu zeigen, wird versucht, es zu vertuschen. Gegen Konformismus und billige Anpassung hilft nur eine wirkliche Unterscheidung der Geister. Ob jemand mit seiner Analyse der Zeichen der Zeit richtig lag, erkennt man daran, wenn sich die Früchte des Hl. Geistes einstellen oder Verwirrung, Druck und Spaltung das Ergebnis sind. Wenn Letzteres der Fall ist, ist der Diabolos, der Durcheinanderwerfer, am Werk, und man sollte den eingeschlagenen Weg verlassen, damit nicht noch mehr Unheil geschieht.
Die Zeichen der Zeit müssen im Licht des Evangeliums, der Lehre der Kirche und unter Anrufung des Hl. Geistes gedeutet werden. Dies ist eine Hauptaufgabe der Kirche, weil sie nur so den Bedürfnissen des Gottesreiches und der Menschen gerecht wird. Jeden Tag soll man um die Gabe der Unterscheidung der Geister beten; sie ist ein Gnadengeschenk des Hl. Geistes (vgl. 1 Kor 12,10). Dass er am Werk ist, erkennt man daran, wenn man mit Freude und Dankbarkeit die Wege des Lebens gehen und das Erkannte umsetzen kann trotz aller Anfechtungen.